Wie man seine Angst los wird

Wird man von Angstgefühlen, welcher Art immer, geplagt, so suche man eine enge, verwinkelte Gegend auf, vorzugsweise das Altstadtviertel einer kleinen norditalienischen Stadt. Man drehe, scheinbar müßig und ziellos, seine Runden. Man bleibe hier, dort stehen, betrachte staubige Schaufenster, mustere gelangweilten Blickes die Passanten, kaufe hier Briefmarken, da Zigaretten, weiche auf dem stets selben Weg demselben Bettler unter demselben Tor aus (durch geschwindes Wechseln der Straßenseite) und gelange nun auf einem spiralenhaften Kurs ganz allmählich zu dem kleinen, aber belebten Platz im Zentrum des Viertels, unter monotoner Beibehaltung des Schaufensterschauens, des Passantenmusterns undsoweiter, bis die träge gewordenen Dämonen, wie in einem einschläfernden Tanz, sich schließlich, in ihrer Wachsamkeit erlahmend, um sich selbst drehen, deiner sicher und geblendet vom Zauber des Labyrinths.

Nun verlasse man schnell das Viertel und begebe sich woanders hin.

Ernst Reyer, 2007